VIBRATIONEN oder die Schwerkraft der Wirklichkeit

 

Nachklang zu meiner Einzelausstellung

VIBRATIONEN oder die Schwerkraft der Wirklichkeit  -  Gudrun Schüler, Malerei

Ort: Jean Paul Art Space, Friedrichstr. 5, 95444 Bayreuth

Ausstellungsdauer: 29.07. – 20.08.2023

Öffnungszeiten: Do/Fr/Sa 16 – 19 Uhr, So 11 – 14 Uhr               

Einführung: Philipp Schramm M.A., Kunsthistoriker  >>>  siehe unten

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Ausstellungsimpressionen - Jean-Paul Artspace:

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 BEGLEITVERANSTALTUNGEN

 Donnerstag, 03.08.2023 um 20 Uhr

NanoCollectiv präsentiert: VIBRATORY LABRATORY  -  Theorie und Praxis mit Konzert für ein dünnhäutiges Publikum.

Eine oszillokopische Reise für Liebhaber1innen von Lady Chatter2ly und Vater-Pacini3Körperchen. Töne schaffen Bilder schaffen Reizungen schaffen Schwingungen schaffen Empfindungen für Feststoff-Körper mit luziden Gefühlen und Mechanorezeptoren4.     nano-collectiv

Freitag, 04.08.2023 16 Uhr  Festival Junger Künstler Bayreuth, Sophias Werkstatt – Lost (in) Natur,   Festival Junger Künstler Bayreuth 

 

Prolog zur Ausstellung von dem Kunsthistoriker Philipp Schramm - vielen Dank

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Vernissage-Gäste,

vor drei Jahren durfte ich schon einmal einen Prolog zur Eröffnung einer Ausstellung von Gudrun Schüler entwerfen. Zur Vernissage kam es Covid-bedingt leider nicht und ich habe mich jetzt sehr gefreut, als die Künstlerin anrief, ob ich für ihre neue Ausstellung einleitende Worte suche. Die Bilder dieser Ausstellung kannte ich nicht und als ich mit Frau Schüler am letzten Donnerstag diesen Raum betrat, erging es mir so, wie es vielleicht auch Ihnen jetzt ergeht: Ich war ziemlich baff - was ich hier im Jean-Paul-Art-Space sah, hatte ich nicht erwartet.

Auf den ersten Blick ist das so ganz anders als die Gudrun Schüler, die ich vor drei Jahren gesehen und besprochen hatte. Es gibt in der Ausstellung auch einige chronologische Ausreißer, überwiegend aber bekommen sie Bilder zu sehen, die in eben jenen letzten drei Jahren entstanden sind. Ob diese Jahre nun als Zäsur im Werk von Gudrun Schüler bewertet werden sollen, das mag ich nicht orakeln, dafür ist es jetzt vielleicht ein bisschen früh. Dass die Künstlerin formal und inhaltlich neue Wege beschreitet, ist denke ich aber jeder und jedem offenkundig, der Gudrun Schülers Arbeit in den letzten Dekaden verfolgt hat.

Nicht so offenkundig und ich darf das hier gleich vorwegnehmen: Die Eingeweihten unter ihnen wissen es sicher, dass ein Bild fehlt, das eigentlich für diese Ausstellung vorgesehen war. Sie können es im Kunsthaus Nürnberg bewundern – die Tuschemalerei „Whispering Woods“ ist vor einer Woche mit dem Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten ausgezeichnet worden, der renommiertesten Auszeichnung für Gegenwartskunst in Nordbayern.

Zurück zur Ausstellung hier in der Friedrichstraße - eine halbe oder knappe dreiviertel Stunde haben wir uns über die Bilder, ihre Entstehung, ihre Hintergründe und über ihre Präsentation in diesem Rahmen, die Hängung und den besonderen Ort hier unterhalten. Und in diesem kurzen Gespräch habe ich genug Anregungen für fünf oder sechs und mehr Einleitungsthemen erhalten. Kunstgeschichtliche Bezüge zur Moderne - zum Informel zum Beispiel oder zu den Präraffaeliten. Philosophische – zur Ideenlehre von Plato über Hegel hin zu Danto. Literaturhistorische - der Genius loci von Jean Paul ist allgegenwärtig, die Dichterin Hilde Domin wird in einem Werktitel zitiert. Musikhistorische - mit Bezug auf die eben eröffneten Festspiele. Kurationstechnische – im Hinblick auf die An- und Herausforderungen der Kunst in diesen Räumen.

Jedes dieser Themen wäre es wert, im Zusammenhang mit dieser Ausstellung und ihren Bildern ausführlich betrachtet zu werden. Und bevor Sie sich nun auf eine lange und erschöpfende Vorlesung zu diesen Themen einrichten, möchte ich zu jenem Motiv finden, dass Gudrun Schüler gleich eingangs unseres Gesprächs formulierte und das sie auch als Titel für diese Ausstellung gewählt hat - Vibrationen.

Eine Vibration lässt sich zunächst als ein mechanisches Phänomen beschreiben. Es gibt einen ruhenden Ausgangspunkt, um den sich Schwingungen ausbreiten. Das lateinische Verb "vibrare" hat eine transitive Bedeutung: in zitternde Bewegung versetzen. Diese Schwingungen sind manchmal erwünscht, positiv konnotiert, gezielt hervorgerufen. Zum Beispiel bei der Erzeugung von Tönen und Klängen mittels eines Instruments. Und dann gibt es die unerwünschten, negativen Vibrationen, derer man sich mitunter nicht erwehren kann und die, wenn sie abgeklungen sind, Brüche und Verwerfungen hinterlassen. Sie können durch eine unwuchtige Waschmaschinentrommel beim Schleudern, durch hakelige Getriebe aber auch durch Naturgewalten wie Erdbeben hervorgerufen werden.

Vibration ist auf jeden Fall ein universelles Phänomen. Dank spezialisierter Organe oder Sensoren sind viele Lebewesen vibrationsempfindlich. So können sie kommunizieren, ihre Beute aufspüren, oder Bedrohungen ausweichen. Das gilt vor allem für den Lebensraum Wasser, aber auch für das Leben an Land. Dort vornehmlich, aber nicht nur, in nächtlicher Umgebung. Vibration erlaubt uns Kommunikation und Orientierung auch ohne den Sehsinn. Das Gehör ist eines der Wahrnehmungsorgane für die schwingende Umgebung, aber oft tragen auch die Haut und der gesamte Körper zu dieser Wahrnehmung bei. Bei manchen Lebewesen können wir instinktive Reaktionen auf Vibrationsreize beobachten, zum Beispiel bei Vögeln und Regenwürmern. Wenn wir von Vibrationen reden, suggerieren wir deshalb oft auch eine unmittelbare Wahrnehmung, die wir, anders als die Schwingung, nicht erst intellektuell brechen müssen. Wir meinen damit etwas, das uns "direkt unter die Haut geht".

Gudrun Schüler lädt sie also ein, die 36 Werke in dieser Ausstellung erst einmal unverstellt auf sich wirken zu lassen. Sie hat wie eingangs erwähnt die Räume selbst kuratiert und dabei sehr subtile, auch im Hinblick auf die Raumsituation bezogene motivische Schwerpunktsetzungen vorgenommen. Jeder Raum erzählt seine eigene Geschichte. Es beginnt hier mit dem Tondo von Platons Auge, dem philosophisch-wahrnehmungstheoretischem Gedanken der Unmittelbarkeit sinnlicher Wahrnehmung über das Sehorgan. Diesem ästhetischen Leitmotiv folgen die weiteren Arbeiten auf ihre jeweils ganz eigene Art. Ob die bildnerisch-graphische hermeneutische Annäherung an Lessings Ringparabel, die drei großformatigen Variationen zum Thema der Vibration oder die leuchtenden Lichtobjekte – das alles dürfen und können sie selbst betrachten, lesen und begreifen. Eine Ausstellung, die auf primäre Bildqualitäten setzt und ihnen dennoch oder darum viel Interpretationsraum ermöglicht.

Wenn sie einen Blick auf die Werkliste werfen, werden sie feststellen, dass die jüngeren Arbeiten in der Zeit der Pandemie entstanden sind. Es ist sicher kein Zufall, dass die Künstlerin sich in jener Zeit der kommunikativen, zwischenmenschlichen Zurückhaltung und Einschränkung elementarer Fragen zur sinnlichen Wahrnehmung besonnen hat. Gerade im Hinblick auf diese besondere Entstehungsgeschichte darf ich Ihnen noch die Empfehlung mitgeben, diese Ausstellung zusammen mit guten Freund*innen und Bekannten zu besuchen. Genießen Sie das gemeinsame Kunsterlebnis, das Gespräch vor dem Bild, die Erfahrung einer dialogischen Entdeckungsreise, das sehr spezielle Vergnügen, einen inspirierenden Moment zu teilen. Dafür bieten Ihnen die Bilder, die Räume, das Haus und der dazugehörende Garten und nicht zuletzt das festspielzeitliche Bayreuth viele unterschiedliche Anlässe, die sie je nach Wunsch und Laune auch miteinander kombinieren können - gedanklich, sinnlich, räumlich. Betrachten und vergleichen sie Gudrun Schülers Gartenimpressionen mit dem wunderbar verzauberten Grundstück des Schwabacher Hauses, das schon Jean Paul zum Verweilen in Bayreuth und in eben diesem Haus umgestimmt hatte. Ophelias Weidenbaum und Laubgewinde können sie bei einem anschließenden Spaziergang am Mainufer wiedertreffen. Brünhildes Erwachen verfolgen sie vielleicht auch am Grünen Hügel. Und gegen sturzbachartige Regenfälle sind wir gegenwärtig ohnehin mit Schirm und Regenmantel gewappnet.

Und empfehlen sie ihren Freundinnen und Freunden den Besuch dieser wunderbaren Ausstellung an diesem ganz besonderen Ort. Bis zum 20.8. sollten wir die Gelegenheit einer anregenden Begegnung mit den Bildern von Gudrun Schüler reichlich nutzen. Danach werden wir uns wieder ein wenig gedulden müssen, vielleicht wieder drei Jahre. Wir dürfen sehr gespannt sein, was uns dann erwartet. Jetzt erwartet sie die Ausstellung „Vibrations“ von Gudrun Schüler – ich wünsche Ihnen einen anregenden Kunstgenuss.

 

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